Humboldt-Universität zu Berlin - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Studienbericht: Erstes Jahr an der ENSAE 2008/2009


Im Rahmen des Doppelstudienprogramms zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ecole Nationale de la Statistique et de l'Administration Economique (ENSAE) in Paris verbrachte ich das fünfte und sechste Studiensemester meines BWL Bachelorstudiums der HU Berlin an der ENSAE. Dort habe ich alle Kurse des ersten Jahres belegt und erfolgreich abgeschlossen.
Das erste Semester an der ENSAE ist mir recht schwer gefallen, da die Kurse komplett auf französisch gehalten wurden und ich erst im Oktober 2007 (also ein Jahr vor Studienbeginn in Paris) angefangen hatte diese Sprache zu lernen. Weiterhin galt es sich an acht Stunden Vorlesung täglich zu gewöhnen, mit Ausnahme von Montag und Donnerstag. An diesen beiden Tagen war der Nachmittag für Sportkurse reserviert, deren regelmäßiger Besuch durch ETCS Punkte belohnt wurde. Zusätzlich bereitete mir die Wohnungssuche erhebliche Schwierigkeiten, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind. Hauptgrund hierfür ist, dass ich eine Wohngemeinschaft gefunden habe, die von einer Agentur verwaltet wird, die meine deutschen (nicht schlecht verdienenden) Eltern nicht als Bürgen akzeptiert und ich so den Mietvertrag nicht unterschreiben darf. Hilfe erhalte ich durch die Verwaltung der ENSAE, sodass im kommenden Jahr dieses Problem gelöst sein wird.
An der ENSAE besteht man das Studienjahr, indem man im Durchschnitt 12 von 20 Punkten erreicht. Der Notendurchschnitt wird aus allen Kursnoten jeweils gewichtet nach den vergebenen ETCS Punkten gebildet. Die einzelnen Kursnoten setzen sich häufig aus einer Mitarbeitsnote der Übung und der Examensnote zusammen. Dieses kompensatorische System hilft Studenten, schlechte Fächer mit guten auszugleichen und so ihr Jahr erfolgreich abzuschließen.
Kurse, die ich im ersten Semester absolviert habe, waren vier reine Mathematikkurse ohne Bezug zur wirtschaftlichen Anwendung (Algebra, Analysis, Differential- und Integralrechnung, Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie), zwei eher oberflächlich informative Kurse mit wirtschaftlichen Themen (Geld und Finanzmärkte, Themen der Ökonomie), ein statistischer Kurs mit Software Anwendung (Explorative Statistik mittels SAS), ein Kurs zu Algorithmen und Programmierung mit Python sowie Englisch und Französisch.
Die Vortragsweise in den Mathevorlesungen war mir neu und relativ unbegreiflich. Trotz schwindender Motivation besuchte ich diese Vorlesungen weiter auf Rat anderer deutscher Programmteilnehmer. Aus den ersten Vorlesungen der wirtschaftlichen Kurse habe ich wegen sprachlicher Probleme nichts als Demotivation mitgenommen und daraufhin durch Abwesenheit geglänzt. Als mein Französisch besser wurde, habe ich es als Herausforderung angesehen 120 Minuten aktiv zuzuhören und dies auch immer besser bewältigt.
Die zehn Prüfungen des ersten Semesters wurden innerhalb der ersten Januarwoche absolviert. Trotz intensiver Prüfungsvorbereitung während der Weihnachtsferien gelang es mir erst durch die Nachprüfungen mein erstes Semester erfolgreich abzuschließen. Ich wiederholte die vier Matheklausuren, weil diese am höchsten gewichtet waren und durch Übung einfach zu verbessern waren.
Im zweiten Semester mussten folgenden Kurse belegt werden: Mikroökonomie, Makroökonomie, Konvexe Optimisation, Wahrscheinlichkeitstheorie, Einführung in die Statistik und Ökonometrie, Geschichte der ökonomischen Analyse, Datenanalyse, Einführung in numerische Methoden, Programmierungsprojekt mit Python, Projekt der angewandten Mathematik, sowie Englisch und Französisch. Da nur noch zwei reine Mathematikkurse zu absolvieren waren und in Mikro- und Makroökonomie mir zumindest vom Thema der Stoff schon bekannt war, fiel mir dieses Semester leichter. Außerdem konnte ich mit den drei Seminararbeiten (Datenanalyse, Programmmierung mit Python und Projekt der angewandten Mathematik) während des Semesters Punkte sammeln. Ich habe alle Seminararbeiten mit je einem französischen Partner geschrieben. Die Teamarbeit verlief jeweils sehr produktiv und angenehm. Da meine Motivation des Studiums an der ENSAE hauptsächlich auf meinem Interesse für Statistik und Datenanalyse begründet ist, hatte ich große Freude am Kurs Einführung in die Statistik und Ökonometrie. Da habe ich auch mein bestes Prüfungsergebnis mit 17 Punkten erzielt. Generell sind die Prüfungen des zweiten Semesters besser verlaufen: Ich musste keine der Prüfungen wiederholen und habe im gesamten Studienjahr einen Durchschnitt von 14,26 Punkten (inklusive oben erwähntem Sportbonus von 0,5 Punkten).
Insgesamt war das mein in Paris verbrachtes Studienjahr reich an positiven wie negativen Erfahrungen und hat mein Französisch stark verbessert (von Grundkenntnissen auf fließend). Ich freue mich schon auf das im Doppelstudienprogramm vorgesehene zweite Studienjahr an der ENSAE.

Cindy Lamm, 6. August 2009




Studienbericht: Zweites Jahr an der ENSAE 2009/2010


Als Teilnehmerin am deutsch-französischen Doppelstudienprogramm zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ecole Nationale de la Statistique et de l'Administration Economique (ENSAE) Paris habe ich nach dem Studienjahr 2008/09 auch das Studienjahr 2009/10 an der ENSAE in Paris verbracht. Es handelte sich dabei um mein 1./2. Studiensemester im Masterstudiengang Volkswirtschaftslehre an der HU Berlin, in dem ich wie vorgesehen alle Kurse des zweiten Jahres der ENSAE absolvierte.
Zu Beginn dieses zweiten Jahres des Studiums an der ENSAE konnte ich zwischen den Vertiefungsgebieten Wirtschaft und angewandte Mathematik wählen wobei diese jeweils mit verschiedenen Pflichtkursen und Wahlkursmöglichkeiten verbunden waren. Da dieses Jahr mein letztes Jahr an der ENSAE sein würde, entschied ich meine Ausbildung in die Richtung angewandte Mathematik fortzusetzen da mir dies an der Humboldt-Universität nicht im gleichen Umfang möglich wäre.
Die folgender Tabelle listet alle Kurse auf die ich im akademischen Jahr 2009/10 an der ENSAE absolviert habe, wobei blau hervorgehobene Kurse Wahlkurse markieren.

Kurs ECTS-Punkte
Buchhaltung 2
Dynamische Optimierung 2
Einführung in französisches Recht 1.5
Einführung in stochastische Prozesse 2
Englisch 2x3
Französisch 2x3
Gruppenarbeit: Angewandte Statistik 6
Makroökonomie 1 3
Mikroökonomie 1 3
Mikroökonomie 2 2
Ökonometrie 1 4
Ökonometrie 2 3
Programmierung mit C++ 2
Seminar: Angewandte Wirtschaft 1.5
Seminar: Statistische Modellierung 2
Simulierung und Monte Carlo Methoden 2
Statistik 1 4
Statistik 2 2
Stichprobentheorie 2
Zeitreihenanalyse 3
Summe: 60

Unter den belegten Kursen fand ich Ökonometrie besonders interessant: Im Kurs des Wintersemesters wurden Theorie und Anwendungsbeispiele zu verschiedenen Regressionsmodellen in einer intuitiven Weise und auf englisch präsentiert. Mir wurde im Kurs des Sommersemesters klar, dass es anhand von Mathematik (meist Matrixalgebra und Konvergenztheorie) einfacher ist die verschiedenen Propositionen der Schätzer zu beweisen. Ich fand es jedoch schwieriger deren Intuition und Anwendung zu verstehen, wenn die Schätzer in rein mathematischer Weise vorgestellt werden.
Die Gruppenarbeit in angewandter Statistik war eine wertvolle Erfahrung im Bereich Teamarbeit und langfristige (im Rahmen des Studiums) Projekte. Es handelte sich um eine Gruppenarbeit zu viert zum Thema Biostatistik das über einen Zeitraum von acht Monaten zu bearbeiten war. Wir versuchten ein Ähnlichkeitsmaß zu finden anhand dessen menschliche Gene mittels statistischer Methoden, wie z.B. Clusteranalyse, zu biologisch sinnvollen Modulen gruppiert werden können. Diese Aufgabe erforderte Verständnis für die uns zur Verfügung gestellten Daten, Literaturrecherche zum Thema Ähnlichkeitsmaß für Genexpression und insbesondere Teamarbeit. Das Projekt war ein voller Erfolg trotz mittelmäßiger Kommunikation einiger Gruppenmitglieder. Es war interessant zu sehen wie verschiedene Menschen in verschiedener Weise eine ihnen zugeteilte Aufgabe erledigen.
Letzteres konnte ich ebenfalls im Projekt des Kurses Simulierung und Monte Carlo Methoden feststellen: Zu zweit galt es die Methode des Importance Samplings umzusetzen im Rahmen der Schätzung der Ruinwahrscheinlichkeit auf Basis simulierter Daten. Ich hatte Schwierigkeiten die vorgeschriebene Literatur zu verstehen. Während ich Zeit und Mühe investiert habe in anderen Büchern zu lesen um mein Verständnis der Pflichtliteratur zu verbessern, begann mein Partner bereits mit der Programmierung der Simulierung, auch wenn er ebenfalls die Pflichtliteratur nicht einhunderprozentig verstanden hatte. Ich fand es anfangs unangemessen mit der Umsetzung eines Problems zu beginnen ohne genau die Literaturbasis verstanden zu haben. Am Ende des dennoch erfolgreich abgeschlossenen Projektes habe ich jedoch eingesehen, dass es aufgrund von Zeitmangel eine gute Wahl war ``einfach anzufangen'' und Probleme dann zu behandeln wenn und nur wenn sie im Laufe des Projektes auftreten, anstatt sich zu Beginn über alle möglichen Probleme klarzuwerden und deren Lösung zu antizipieren.
Ich habe Stichprobentheorie gewählt, da es meine bereits praktisch angewandten Kenntnisse bezüglich Marktforschung mit einer fundierten theoretischen Basis vervollständigte. Diese Veranstaltung war sehr mathematisch ausgerichtet und verlangte viel Konzentration und insbesondere Genauigkeit bei der Notation (z.B. war es essentiell Variablen der Grundgesamtheit mit großen Buchstaben zu notieren, die der Stichprobe mit kleinen Buchstaben).
Um meine statistische Ausbildung nach dem Pflichtkurs Statistik 1 fortzusetzen, wählte ich Statistik 2 und das Seminar über statistische Modellierung. Ich musste feststellen, dass Statistik 2 - mathematisch-theoretische Statistik - meine fundierten, an der ENSAE erworbenen, mathematischen Kenntnisse überforderte. Ich konnte den Beweisen in der Vorlesung nicht folgen und hätte unangebracht viel Zeit und Mühe investieren müssen um die Ganzheit des präsentierten Stoffs zu verstehen. Der Fokus der Veranstaltung lag auf der Herleitung von statistischen Tests für mehr oder weniger selten vorkommende Datenstrukturen. Ich schätze es, die Möglichkeiten der Testherleitung kennengelernt zu haben, würde aber nicht blind auf einen von mir selbstständig hergeleiteten Test vertrauen.
Im Seminar für statistische Modellierung wurden verschiedene Anwendungsbereiche meiner bisher erworbenen und darüber hinausgehenden statistischen Kenntnisse vorgestellt. Da ich noch relativ unentschlossen bin bezüglich meiner Pläne nach dem Studium - derzeit kann ich nur sagen, dass ich im Bereich Statistik und/oder Ökonometrie arbeiten/forschen möchte - stellte die im Seminar präsentierte Vielfältigkeit der Anwendungen eine gute Motivation dar mich weiter in diese Richtung zu spezialisieren.
Viel Vergnügen bereitete mir das Programmierprojekt in C++. Ich habe mit einem Mitstudenten eine Simulierung einer von einer Epidemie befallenen Stadt programmiert. Wir haben den Fokus der Simulierung auf den Algorithmus zur zielgerichteten Bewegung von Menschen in der Stadt und sowie auf die Übertragung und den Verlauf der Epidemie gelegt. Anfänglich wollten wir die Stadt so detailgenau wie möglich programmieren, mussten jedoch davon absehen und uns auf eine in der vorgegebenen Zeit umsetzbare Variante einigen. Dieses Projekt hat mir erneut gezeigt wie gern ich programmiere: Der eindeutig sichtbare tägliche Fortschritt motiviert mich mehr als nur die Aussicht auf Erfolg am Ende des Projekts.
Die Kurse dynamische Optimierung und Mikroökonomie 2 habe ich nach dem Prinzip des geringsten Übels gewählt und war positiv überrascht als ersterer sehr geholfen hat bei der Programmierung der zielgerichteten Bewegung im C++-Projekt.
Auch im zweiten Jahr der ENSAE habe ich Französisch als zweite Fremdsprache gewählt, da ich überzeugt war und bin, dass ich meine Französischkenntnisse weiterhin verbessern kann.

Insgesamt hat mir das zweite Jahr an der ENSAE besser gefallen als das erste, war es doch weniger anstrengend durch fortgeschrittene Französisch- und Mathematikkenntnisse. Ich kann nun auch behaupten, dass ich die Wahl an der ENSAE zu studieren jederzeit wieder treffen würde, weil ich den Zugewinn an Wissen und Erfahrung so nicht an der Humboldt-Universität zu Berlin erlebt hätte. Außerdem bin ich mit der Überzeugung an die ENSAE gegangen, einen Beruf im Bereich Marketing zu suchen, und habe mein Studium dort beendet mit dem Interesse an einem Beruf im dem ich Statistik und/oder Ökonometrie anwenden möchte, wobei sich diese beiden Richtungen nicht ausschließen.
Das nächste Studienjahr werde ich an der Humboldt-Universität zu Berlin verbringen. Eigentlich war vorgesehen, dass ich den VWL Master, in dem ich seit Oktober 2009 eingeschrieben bin, beende. Dies entspricht nicht mehr ganz meinem Interesse, sodass ich versuche im Rahmen des Doppelstudienprogramms in den Master of Science Statistics der Berliner Universitäten zu wechseln.

Cindy Lamm, 14. Oktober 2010