Humboldt-Universität zu Berlin - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Bericht von Emanuel Mönch, 2001

Zweijähriges Studium in Paris im Rahmen des Doppeldiplomprogramms ENSAE - HUB : ein kurzer Erfahrungsbericht


Als Teilnehmer der zweiten "Generation" von deutschen Studenten habe ich von September 1999 bis Juni 2001 am Doppeldiplomprogramm teilgenommen. Mit den folgenden Zeilen möchte ich versuchen, interessierten potentiellen zukünftigen Teilnehmern kurz meine Erfahrungen zu schildern, so dass sie sich ein Bild von der ENSAE und der Stadt Paris als Studienort machen können.


Wie bei den meisten Austauschprogrammen sind für die Auswahl zur Teilnahme am Doppeldiplomprogramm mit der ENSAE zunächst ausreichend gute Sprachkenntnisse und gute Leistungen im Studium erforderlich. Da ich während meiner Schulzeit keinen Französischunterricht hatte, konnte ich erst an der Humboldt-Universität beginnen, die französische Sprache zu erlernen. Ein Jahr Teilnahme an den dort angebotenen Anfängerintensivkursen mit acht Stunden pro Woche und ein anschließender vierwöchiger Sprachkurs in der Normandie genügten, um ein für den Beginn ausreichend gutes Niveau zu erlangen. Nach meiner Erfahrung verstärkt die Klarheit, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der fremden Sprache alltäglich behelfen zu müssen, die Lernmotivation außerordentlich, so dass eineinhalb Jahre für eine sprachliche Grundstocklegung ausreichend sein können.


Doch neben Sprachkenntnissen und guten Studienleistungen ist für ein Studium an der ENSAE ein überdurchschnittliches Interesse an Mathematik und den quantitativen Elementen des Volkswirtschaftsstudiums unabdingbar. Die ENSAE ist die renommierteste Hochschule für Statistik und Volkswirtschaft in Frankreich. Die abgehenden Absolventen stehen vor allem in dem Ruf, eine sehr gute Ausbildung in den quantitativen Methoden der Ökonomie erfahren zu haben. Wie im französischen System der Grandes Ecoles üblich, werden sie in speziellen Vorbereitungsklassen den "Classes préparatoires" zwei oder drei Jahre lang auf die Aufnahmeprüfungen für den Einstieg in die Schule vorbereitet. Entsprechend orientieren sich ihre Kenntnisse stark an den dortigen Anforderungen, und für uns Deutsche ist aufgrund unseres anderen Kenntnisprofils der Einstieg erfahrungsgemäß recht schwer. Insbesondere während des ersten Vierteljahres werden beinahe ausschließlich mathematische Grundkenntnisse vermittelt oder vertieft, und es steht wenig anderes auf dem Lehrplan. Wer absolut keine Lust verspürt, sich in den ersten Monaten seines Frankreichaufenthaltes mehr als fünfzehn Stunden pro Woche mit Mathematik zu befassen, sollte nicht an der ENSAE studieren.


Die quantitative Ausrichtung des Studiums an der ENSAE war die Hauptmotivation für meine Teilnahme am Doppeldiplomprogramm. Ich war und bin noch immer der Überzeugung, dass man an der ENSAE Kenntnisse - insbesondere für ein weiteres Verständnis quantitativer Methoden - erwirbt, die man in dieser komprimierten Form als Student der Volkswirtschaftslehre in Deutschland kaum erwerben kann. Den analytisch-mathematischen Anforderungen in Vorlesungen im Fach Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität ist man nach einem Aufenthalt an der ENSAE leicht gewachsen. Dennoch muss ich als einen Kritikpunkt am Lehrprogramm der ENSAE einräumen, dass bestimmte Pflichtfächer, die nach meiner Auffassung nur wenig zu dem fachlichen Profil der Schule beitragen, den zeitlichen Rahmen derart einengen, dass eine Konzentration auf das Wesentliche oftmals schwierig ist. Hinzu kommt, dass aufgrund des enormen Arbeitsumfanges die Lernmotivation vieler Studenten gering ist, so dass das durch die sehr gute Vorbereitung großartige Potential oft leider zuwenig genutzt wird. Inzwischen gibt es zunehmende Kritik der Studenten an diesem und anderen Missständen. Es bleibt zu hoffen, dass die Leitung der Schule diese berücksichtigt und daraus entsprechende organisatorische Veränderungen ableitet.


Trotz dieser Kritikpunkte ist ein zweijähriges Studium an der ENSAE aus verschiedener Hinsicht lohnens- und empfehlenswert. Erstens ist es an der ENSAE sehr leicht, ein enges Verhältnis zu den Kommilitonen aufzubauen - ein Element, das meines Wissens viele Studenten bei ihrem Auslandsaufenthalt vermissen. Die ENSAE ist mit etwa 350 Studenten in drei Jahrgängen eine sehr kleine Einrichtung. Teilnehmer des Doppeldiplomprogramms beginnen das Studium gemeinsam mit etwa fünfzig französischen Mitstudenten im ersten Jahr (premiére année), so dass man von vornherein in die Gruppenbildung involviert ist und sich nicht nachträglich um die Aufnahme in schon bestehende Gruppen bemühen muss. Die oben kritisierte hohe Auslastung des Stundenplans und die hohe Zahl von Pflichtveranstaltungen haben außerdem zur Folge, dass man viel Zeit gemeinsam verbringt. Weiterhin spielt Gruppenarbeit bei der Erstellung von Hausarbeiten (mémoires) eine große Rolle, so dass auch hier die Berührungspunkte vielfältig sind. Nicht zuletzt isst man in der äußerst guten Kantine des französischen statistischen Zentralamtes, mit dem die ENSAE räumlich und administrativ verbunden ist, für stark subventionierte Preise täglich gemeinsam zu Mittag und hat somit viel Zeit für Gespräche. Schließlich ermöglicht die zweijährige Dauer des Programms ein wesentlich besseres Kennenlernen als es normalerweise bei einjährigen Austauschprogrammen üblich ist. Dies wirkt sich selbstverständlich auch auf die Sprachfähigkeiten aus. Ich habe im zweiten Jahr noch einmal große sprachliche Fortschritte gemacht und befinde mich jetzt, so denke ich, auf einem Niveau, das ich in nur einem Jahr sicher nicht hätte erlangen können.


Wie oben bereits erwähnt, ist die ENSAE in Frankreich in Fachkreisen sehr renommiert. Die Absolventen gehören zu Frankreichs bestbezahlten Berufseinsteigern, was neben dem guten Ruf der Schule auch den Umstand widerspiegelt, dass sehr viele der Absolventen in den gutverdienenden Branchen Banken und Versicherungen, aber auch in Unternehmensberatungen und Industrieunternehmen ihre berufliche Karriere beginnen. Auch für eine wissenschaftliche Laufbahn, die ich persönlich anstrebe, bietet das Studium an der ENSAE sehr gute Voraussetzungen. Die Tatsache, dass jedes Jahr mehrere Studenten der ENSAE in PhD -und Masterprogramme renommierter US-amerikanischer und britischer Universitäten aufgenommen werden, spricht dafür, dass die Ausbildung an der ENSAE im englischsprachigen Ausland einen guten Ruf geniesst. Leider gilt letzteres meines Wissens nicht auch für Deutschland, so dass ein Studium an der ENSAE bei der Jobsuche hierzulande abgesehen von der allgemeinen Wertschätzung eines längeren Auslandsaufenthaltes eventuell keine fachlichen Bonuspunkte bringt. Diese Einschätzung beruht jedoch nicht auf Erfahrungswerten, da es aufgrund der Neuheit des Programmes erst sehr wenige deutsche Absolventen gibt. Ich bin sicher, dass eine langfristige Etablierung des Doppeldiplomprogramms die Qualitäten der Ausbildung an der ENSAE auch in Deutschland transparenter machen wird.


Zusammenfassend möchte ich sagen, dass ich sehr froh bin, mich für eine Teilnahme am Doppeldiplomprogramm entschieden zu haben. Ich habe während der zwei Jahre in Paris sehr viel fachliches gelernt, spreche inzwischen fließend französisch, kenne Stärken und Schwächen des französischen Bildungssystems, habe dauerhafte Freunde in Frankreich gefunden und werde mich dort auch in Zukunft immer in gewisser Hinsicht zu Hause fühlen. Trotzdem ich zuweilen hart habe arbeiten müssen, habe ich die Zeit in der wunderschönen Stadt Paris genossen. Bei Kurzreisen unter anderem zu den Landhäusern und in die Heimatorte von Freunden habe ich die Schönheit und Vielseitigkeit dieses Landes und die Gastfreundschaft seiner Bewohner genießen können. Jedem an Frankreich und an den quantitativen Methoden der Ökonomie interessierten Studenten kann ich nur empfehlen, am Doppeldiplomprogramm teilzunehmen.



Bericht von Emanuel Mönch
Berlin, September 2001